Toller Typ.......
Verfasst: Di 27. Jun 2006, 09:08
Artikel aus der Wirtschaftswoche:Einer für alle Die Raiffeisenbank Gammesfeld ist Deutschlands kleinste Bank. Und die eigenwilligste dazu. Jetzt braucht sie einen neuen Chef. Das Büro von Fritz Vogt sieht nicht unbedingt nach Hochfinanz aus. Von seinem Schreibtisch blickt er auf eine zerfallene Gaststätte. Auf dem ramponierten Schild lässt sich mühsam der Name "Bierkrug" entziffern. Links neben dem Gasthaus reihen sich Einfamilienhäuser an. Alle paar Minuten fährt ein Auto daher, ansonsten herrscht gähnende Leere. Das Einzige, was sich hier in Massen tummelt, sind Fliegen. In Schwärmen fallen sie über die Besucher der Raiffeisenbank Gammesfeld her.Hier ist das Revier von Fritz Vogt, hauptamtlicher Geschäftsführer der Raiffeisenbank Gammesfeld. Der 75-Jährige führt seit fast 40 Jahren die kleinste Bank Deutschlands. Er hat weder Computer noch Faxgerät, geschweige denn eine Sekretärin. Seine Bankzentrale besteht aus einem Schreibtisch, einem grauen Telefon mit Wählscheibe, einer klapprigen Schreibmaschine und einer Walther-Rechenmaschine aus dem Jahr 1952. Mehr braucht Fritz Vogt auch gar nicht. Seine Sparsamkeit kommt den knapp 300 Kunden zugute. Kredite werden pauschal mit 3,5 Prozent verzinst, für das Guthaben auf dem Sparbuch gibt es 2,5 Prozent, und das Girokonto wird kostenlos geführt. Jetzt soll der Banker in Rente gehen. Doch bevor sich Vogt in den Ruhestand verabschieden kann, muss ein Nachfolger her, der die Tradition in Gammesfeld weiterführt. Ein nicht gerade leichtes Unterfangen. Denn der Senior unter Deutschlands Bankchefs, der nie eine Banklehre gemacht oder studiert hat, ist der wahrscheinlich einzige Antikapitalist unter den Herren des Geldes. "Was ist schon ein Bankräuber gegen einen Bankdirektor. Finanzdienstleistung ist Ausbeutung, Veruntreuung im großen Stil", sagt Vogt über seine Konkurrenten und meint es tatsächlich ernst.Als er vor einigen Jahren in den Glaspalast der Bausparkasse Schwäbisch Hall eingeladen wurde, um über das Vermächtnis Friedrich Wilhelm Raiffeisens zu sprechen, fragte er nur: "Wissen Sie, wessen Geld Sie da verbaut haben?" Und gab sich selbst die Antwort: "Das ist geklautes Geld." Vogt kann sich diesen Ton erlauben, schließlich zeigt er, wie einfach erfolgreiches Bankgeschäft sein kann. Gammesfeld ist ein Dorf in der Nähe von Rothenburg ob der Tauber. Im Prinzip gibt es dort nichts außer einem Edeka-Laden und eben der Raiffeisenbank, die 1890 unter Mitwirkung von Vogts Großvater gegründet, und vom Vater weitergeführt wurde. Heute hat sie rund 260 Mitglieder, die jeweils einen Geschäftsanteil von 300 Euro halten. Die Bilanzsumme lag Ende 2005 bei rund 18,9 Millionen Euro. Die durchschnittliche Bilanzsumme der deutschen Genossenschaftsbanken dagegen liegt bei 458 Millionen Euro.Vogt leitet seine Bank in der Tradition von Friedrich Wilhelm Raiffeisen.Als es 1845 nach mehreren Missernten eine Hungersnot im Westerwald gab und die Bauern durch Wucherkredite in den Ruin getrieben wurden, gründete Raiffeisen einen "Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte", den Vorläufer der Genossenschaftsbanken. Deren Mitglieder zahlten Geld ein, das als Kredit an bedürftige Mitglieder ausgeliehen wurde. Auch in Gammesfeld bekommen nur Mitglieder Geld von der Bank geliehen. "Fremde wollen wir nicht", sagt Vogt. Regelmäßig bekäme er Kreditanfragen aus der ganzen Republik und einmal sogar aus den USA. Er hat alle abgelehnt, Ausnahmen macht er nicht. Aufgenommen wird nur, wer aus dem Dorf stammt. Die meisten Kunden sind Landwirte. Vogt kennt jeden persönlich, seine finanzielle Situation und seinen familiären Hintergrund. "Die Bank weiß, wem sie ihr Geld gibt."Wertberichtigung ist in Gammesfeld ein Fremdwort. Andere Genossenschaftsbanken haben sich von diesem traditionellen Prinzip längst verabschiedet. Wer einen Kredit beantragt, muss nicht mehr Mitglied werden. Die modernen Volks- und Raiffeisenbanken arbeiten wie jedes andere Kreditinstitut auch und bieten ihren Kunden Aktien und Fonds an. Der Gedanke der Selbsthilfe unter den Mitgliedern spielt kaum noch eine Rolle.Ganz anders in Gammesfeld: Hier gibt es zur Geldanlage nur das Sparbuch, sonst nichts. Dafür wird das Geld mit 2,5 Prozent verzinst. "Bei uns bekommt jeder das Gleiche. Ob Groß- oder Kleinsparer." Für Kredite gilt dasselbe Prinzip. Mit Wertpapieren oder Derivaten wollen die Gammesfelder nichts zu tun haben. "Ich sehe immer wieder, wie sich Leute plagen und Pfennig um Pfennig sparen. Dann legen sie ihr Geld in einen Investmentfonds oder in Dubai-Aktien an, und das Geld ist wieder weg. Aktien sind was für reiche Leute, wir aber sind eine Bank für Arbeiter." »Doch die kleine Raiffeisenbank hat auch ihre Nachteile. Es gibt keinen Geldautomaten vor Ort, und Kontoauszüge können die Kunden nur am Schalter bekommen. Mit ihren finanziellen Wünschen müssen sie sich bis zu den Öffnungszeiten gedulden, Montag bis Freitag zwischen 12.30 und 14 Uhr, zweimal die Woche auch von 19 bis 21 Uhr. Ist Vogt im Urlaub, ist die Bank geschlossen. Deshalb fährt der Bankchef auch höchstens fünf Tage hintereinander weg. Auch an Online-Banking ist nicht zu denken. Denn die Raiffeisenbank Gammesfeld ist nicht an das Computersystem der Volks- und Raiffeisenbanken angeschlossen. Bezahlt ein Gammesfelder irgendwo mit seiner EC-Karte, werden die Daten an die DZ Bank in Frankfurt geleitet, diese gibt die Daten per Post weiter nach Gammesfeld. Jede einzelne Kontobewegung muss Vogt dann per Hand in eine alte, klotzige Buchungsmaschine eintippen. Diese sieht aus wie eine altertümliche Schreibmaschine, kann aber auch rechnen. "Ein Computer ist Angeberei, vollkommen überflüssig." Mehr als Banking light kann die kleine Raiffeisenbank nicht bieten. Wertpapiertransaktionen oder Großkredite sind nicht im Angebot.1999 haben die letzten verbliebenen kleinen Banken im Umfeld fusioniert, "weil sie die Kosten für moderne, technische Ausrüstung allein nicht bezahlen konnten", ist Vogt überzeugt. Die Technik sei schuld daran, dass die gesunden Kleinbanken verschwunden seien.Fritz Vogt ist in allen Belangen sparsam. Möbel und Gardinen, Schreibmaschine und Telefon stammen aus den frühen Nachkriegsjahren. Was nicht kaputt ist, bleibt wie es ist. Alles, was die Bank erwirtschaftet, kommt ihren Mitgliedern zugute. Die nächste genossenschaftliche Bankfiliale von Gammesfeld aus gesehen liegt im rund vier Kilometer entfernten Leuzendorf. Die Zweigstelle der Raiffeisenbank Schrozberg ist in den Genossenschaftsverbund eingepasst.Ein silbernes Schild mit den dunkelblauen Raiffeisenbank-Buchstaben prangt an der Front. Die großen, gläsernen Türen bieten Einblick in einen Selbstbedienungsraum. Er ist mit Kassenautomat, Kontoauszugsdrucker und anderen technischen Finessen ausgestattet. Würde sich die Gammesfelder Bank die gleiche Technik ins Haus holen, müsste sie jährlich 260 000 Euro mehr Gewinn machen, um das zu finanzieren, rechnet Vogt vor.Einmal in der 116 Jahre alten Geschichte drohte seiner Bank das Aus. 1974 wurde für die deutschen Kreditinstitute das Vier-Augen-Prinzip eingeführt.Seitdem muss jede Bank mindestens zwei Geschäftsführer haben. Vogt wurde aufgefordert, einen zweiten Mann einzustellen oder die Bank zu schließen.Der Raiffeisenbanker weigerte sich, schließlich konnte sich das Institut keinen zweiten hauptamtlichen Geschäftsführer leisten. 1984 wurde Vogt schließlich die Erlaubnis zum Bankbetrieb entzogen. Doch er machte einfach mit einem nebenruflichen Geschäftsführer als zweitem Mann weiter und prozessierte gegen die Bundesrepublik. Sieben Jahre dauerte der Rechtsstreit. Am Ende stand Vogt als Gewinner da. Hätte er den Prozess verloren, hätten ihm wegen illegalen Bankbetriebs drei Jahre Gefängnis gedroht. "Einfach aufhören wäre zu einfach gewesen. Man darf den Tyrannen nicht nachgeben, da muss mal einer aufstehen", sagt er noch heute widerspenstig.Nun kämpft Vogt seinen letzten Kampf für die Bank. Während er selbst das Zepter von seinem Vater übernommen hat, haben seine vier Kinder andere Berufe ergriffen. Und so hätte Vogt am liebsten weitergemacht. Doch der Stuttgarter Genossenschaftsverband drängt auf eine Nachfolgelösung. Ein Familienfremder soll die Bank weiterführen. So leicht wie einst Vogt, der von seinem Vater angelernt wurde, wird es ein Nachfolger nicht haben. Der muss eine Bankausbildung und eine Weiterbildung zum Bankbetriebswirt absolviert haben. Sechs Bewerber gibt es. "Ich hätte nie gedacht, dass irgendjemand Interesse an der Stelle hat", wundert sich Vogt. Auch wenn ihm das eigentlich recht gewesen wäre, gibt er sich einsichtig."In meinem Alter muss man immer damit rechnen, dass es bald zu Ende geht", sagt er. Nachdem er sich mit dem Ausstieg angefreundet hat, will er dafür sorgen, "dass das System erhalten bleibt". Und vielleicht sogar zum Vorbild für andere wird: "Wenn die Bevölkerung genug ausgebeutet worden ist, kommen wir wieder zu diesem System zurück", glaubt der wohl ungewöhnlichste Banker Deutschlands, "einer für alle, alle für einen."Melanie BergermannDas sind Charaktere, wie man sie bald nicht mehr findet!Ich fand diesen Artikel so toll, dass ich ihn Euch nicht vorenthalten wollte. GrüßeManfred